Kollektive Gänsehaut
Mit ihren Trinkhalmassemblagen, gefärbten Seifenhäuten, Gummiringporträts und Heftklammerobjekten fantasiert sich Olivia von Pock empathisch in unser Bewusstsein. Ganz weich und nicht gebieterisch, sondern differenziert und geheimnisvoll.
Olivia von Pock ist eine Häuterin. Durch beständiges Abschälen entfernt sie Schicht um Schicht die Verhüllung alltäglicher Gegenstände. Indem sie den ursprünglichen Kontext der Dinge auslöscht, ermöglicht sie dem Betrachter den Blick auf ein ihm unbekannt erscheinendes Objekt, das tief unten in seinem kollektiven Unbewussten eine Gänsehaut erzeugt, weil das neue Abbild ihn dunkel an etwas lang Vergessenes erinnert.
Als bewegten sich ihre Gedanken in Mäanderform zu komplexen Rhythmen, weisen ihre von unbändiger Spiel- & Experimentierlust sowie von repetitiven Arrangements gekennzeichneten Arbeiten ein kurvenreiches, verschlungenes Muster auf. Dünn- und dickwandige Strohhalme, flüssige Seifen, Haushaltsgummis, Einkaufstüten mit einem Werdegang, eine ausgepowerte Luftmatratze oder durch Spitzendeckchen gepresste Knetmasse: Schicht um Schicht assembliert sie empfindlich leichte oder elastische Dinge und Funde des täglichen Gebrauchs, fügt Ding an Ding, Collage auf Collage, um davon immer wieder etwas abzutragen, wegzukratzen, auszusieben, zu häuten, zu zerschneiden, zu schrotten oder auf andere Weise mürbe zu machen; eine nie endende Strömung persistenten Wandels und ostentativen Verschleißs.
Aus ihren häufig kleinteiligen Arbeiten spähen Fragmente, Brocken, Fetzen hervor, und je abgerockter diese aufgrund der schroffen Behandlung aussehen, um so mehr bannen sie unsere Aufmerksamkeit. Auf ihren Exkursionen an einen Ort namens »Mäandertal« mündet das sich etliche Male wiederholende Geschehen von Herstellen & Beseitigen in bewusst vorläufige »Ergebnisse«. Denn unter der Haut dieses Ortes darf alles sein, und so steht nichts ein für alle Mal fest, außer dass Olivia von Pock auch künftig die Grenzen ins – sich engültiger Erforschung widersetzende – »Mäandertal« queren wird. She`s a raver!
Derzeit erkundet Olivia von Pock vor allem Plastiktrinkhalme: die elastischen Häute sind ihre Malerei. Ähnlich wie beim Aquarell mischt sie Farben und es entstehen lebhafte Flächen und weiche Formen. Teppichgeschichten aus Strohhalmen. Aus gefärbten Flüssigseifen, in denen sie Gummi, Latex, Silikon mitschwingen lässt, macht sie erstarrte Häute; milchige Häute, die sehr alt oder sehr zukünftig aussehen. Es liegt ein ziemliches Gewicht in diesen seifigen Platten, die sich dem Auge des Betrachters kühn darbieten, ihm die letztgültige Entzifferung jedoch verwehren.
Prinzip1 Farbe als Urphänomen von Schöpfung
Prinzip2 Nie endendes Geschehen: Herstellen & Beseitigen
Prinzip3 Schlangenlinien und gewundener Verlauf
Prinzip4 Alles was leicht ist
Prinzip5 Finden und Mitnehmen
Prinzip6 Freestyle Spielen und Basteln
Prinzip7 Ohne Begrenzung
Text: Gilda Mempel, Tinte und Taste